Servicequalität am Telefon – oder wie man am Ziel vorbei misst!
“Wir brauchen ein Umdenken in der Bewertung von kommunikativer Qualität! Was für ein Kommunikationstraining geeignet ist, ist es deshalb nicht gleichzeitig für die Qualitätsmessung” meint unser Autor Dr. Heiner Rudolf
Im Callcenter- und Dienstleistungsgeschäft arbeiten wir seit vielen Jahren mit Bewertungsbögen für Servicegespräche. Diese bestehen aus einer Reihe von mehr oder weniger zusammengewürfelten Kriterien, mit denen Qualität operationalisiert, gemessen und verglichen werden soll. Im Beratungsgeschäft oder als Outsourcing-Dienstleister kann man im Laufe der Jahre viele Varianten solcher Messverfahren kennenlernen. Jedes Unternehmen stellt sich seinen eigenen Kriterienkatalog zusammen. Im Hinblick auf fachliche oder system- bzw. prozessbezogene Kriterien liegt die Notwendigkeit branchen- oder firmenspezifischer Gestaltung auf der Hand. Wie aber sieht es mit der kommunikativen Qualität aus, mit Freundlichkeit, Gesprächsführung und dem Aufbau einer Beziehungsebene zum Kunden? Wenn wir die kommunikative Qualität – wie dies in den meisten Fällen geschieht – kleinteilig und mit eher abstrakten Kriterien wie z.B. “aktives Zuhören”, “namentliche Ansprache”, “Verbindlichkeit” u.s.w. messen, begehen wir einen Fehler, der mitverantwortlich dafür ist, dass wir „Sprechautomaten“ am Telefon erzeugt haben.
Zwischenmenschliche Kommunikation ist auch ein emotionales Ereignis, neben fachlicher Beratung und korrekter Bearbeitung geht es dabei auch um Gefühle: Freundlichkeit, sich aufgehoben fühlen, der Eindruck ein Berater am Telefon sei ganz für mich da etc. haben einen ganzheitlichen Charakter. Fach- und Systemfragen können i.d.R. eindeutig anhand bestimmter Kriterien als “falsch” oder “richtig” bewertet werden. Diese Eindeutigkeit existiert im Bereich der kommunikativen Qualität nicht. Jeder weiß, dass die Wirksamkeit der namentlichen Ansprache nur begrenzt ist und schnell ins Gegenteil umschlagen kann, dass das „Lächeln in der Stimme“ leicht süßlich und künstlich wirken kann oder dass sogenannte Begrüßungs- bzw. Verabschiedungsformeln eher zum negativen Markenzeichen einer Branche geworden sind … „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“.
Emotionslose Sprechautomaten, das Dilemma der Qualitätskontrolle
Ein großer Dienstleister der Medien-Branche versuchte eine Zeitlang, das emotionale Spiegeln (also empathisches Eingehen auf die Gefühle des Kunden) mit genau vordefinierten und auf einige wenige „Sprechformeln“ begrenzten Reaktionen des Kundenberaters vorzugeben: „Ich verstehe Ihren Ärger …“, „Es freut mich, dass …“ usw. Hier wurde endgültig versucht, „einen Pudding an die Wand zu nageln“. Besser kann man emotionslose Sprechautomaten nicht erziehen.
Dieses Beispiel verdeutlicht ein Dilemma der Qualitätskontrolle in der Dienstleistungsbranche: Zugunsten der Zuverlässigkeit der Messung (sog. Reliabilität), die man über eine möglichst eindeutige Definition, ob ein Kriterium erfüllt ist, zu erhöhen versucht, wird die Validität aufs Spiel gesetzt. Mit Validität ist in der Messtheorie gemeint, dass ein Testverfahren das misst, was es zu messen vorgibt – in unserem Fall kommunikative Qualität. Der Versuch, kommunikative Qualität über die üblichen abstrakten Kriterien oder das Einhalten von Sprechformeln zu messen, gleicht dem Versuch, die Eleganz eines Tanzpaares nach der Akkuratesse, mit der es bestimmte Tanzschritte einhält, zu bewerten. Das ist bestenfalls „Pflicht“, niemals „Kür“.
Wie aber bringen wir wieder eine ganzheitliche Betrachtung in unsere Messverfahren? Ist diese ganze Messmechanik nicht entstanden, weil die „Gefühlsdimension“ nicht anders zu erfassen ist und „Appelle an den Bauch“ schließlich nichts nützen?
Episodisches Gedächtnis
Es gibt einen neuen Ansatz: Langjährige Untersuchungen zur Verhaltensbeobachtung in Assessment-Centern (vgl. insb. Nordakademie, Elmshorn bzw. Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg) haben ergeben, dass Verhaltensbeurteilungen anhand von abstrakten Begriffen weniger zuverlässig funktionieren als der Vergleich mit beispielhaften, bildlich-ganzheitlichen Beschreibungen. Die Autoren erklären dies damit, dass ein Bewerter im ersten Fall auf sein „semantisches“ im zweiten auf sein „episodisches Gedächtnis“ zurückgreift. Was wir also für die Bewertung von Servicegesprächen ebenfalls brauchen, sind bildlich-ganzheitliche Bewertungskriterien, orientiert an typischen Situationsbeschreibungen. Dafür gibt es in Forschung und Praxis bereits Vorbilder in Form der sog. Behavior Expectation Scales (BES) (vgl. Arbeitsanalyse und Bewertung nach P. C. Smith und L. M. Kendall). Idealerweise werden diese BES von denjenigen Personen, auf die diese Methodik später im Arbeitsprozess angewendet wird, selbst erarbeitet (s. www.psychology.com). Die Bewertung erfolgt also nicht mehr über kleinteilige Kriterien, sondern über kurze, plastische Charakterisierungen des Gesprächs-Verhaltens. Diese Bewertungsmethodik führt automatisch zu einer Reduktion der Kriterien-Anzahl. Die kommunikative Qualität eines Beratungsgesprächs nach zehn oder mehr Einzelkriterien zu differenzieren ist Unsinn. (Was nicht bedeutet, dass wir uns auch im Trainingszusammenhang nicht mit diesen Kriterien beschäftigen müssen.)
Behavior Expectation Scales
Neben der in der AC-Forschung belegten Tatsache, dass das Verwenden von Behavior-Expectation Scales zu einer erhöhten Interrater-Reliabilität führt (d.h. Bewerter kommen zu einheitlicheren Urteilen), ergibt sich auch ein “pädagogischer Nutzen” im Umgang mit den Kundenberatern. Statt diesen zum xten Mal einzutrichtern, dass „namentliche Ansprache“ oder „Worte persönlicher Anerkennung“ anzuwenden seien, wird in die Rückmeldung wieder ein ganzheitlicheres Bild vom Charakter des Gesprächs Einlass finden. Mit dem Ziel, dass Kundenberater ein Gefühl für Servicequalität entwickeln – sofern dieses nur schwach ausgeprägt ist.
Faktorenanalysen an herkömmlichen Bewertungsverfahren
Ein bereits angesprochener Vorteil dieser neuen Methodik liegt darin, dass die Anzahl der Bewertungskriterien reduziert wird. Die kommunikative Qualität eines Beratungsgesprächs sollte mit drei, max. fünf Skalen bewertet werden. In der qualitycube GmbH durchgeführte faktorenanalytische Untersuchungen an verschiedenen traditionellen Kriterienkatalogen haben gezeigt, dass viele Kriterien das Gleiche bzw. sehr verwandte Themen messen. Andere wichtige Merkmale, z.B. Individualität in der Beratung, Präsenz des Kundenberaters, passende Emotionalität usw. dagegen „unterbelichtet“ werden. Diese Sachlage erinnert an den Witz von der Person, die ihr Schlüsselbund im Lichtkegel sucht, … nicht etwa weil sie ihn dort verloren hätte, sondern weil dort Licht scheint – schließlich ist doch „namentliche Ansprache“ so wunderbar einfach zu messen ….
Die Devise dieser neuen Messmethodik lautet: Kriterien bündeln und anschaulich-bildlich machen!
Up- und Cross-Selling
Mit diesem veränderten Vorgehen werden wir auch das Thema Up- und Cross-Selling neu beleben. Up- und Cross-Selling läuft maßgeblich über die Gefühlskomponente. Es ist wenig hilfreich in möglichst jedem Gespräch mechanisch ein Zusatzprodukt zu erwähnen – das zeugt von fehlender Sensibilität seitens des Kundenberaters. Deshalb ist eine gute emotionale Ebene und damit das Vertrauensgefühl beim Endkunden die Grundlage für den Erfolg auf diesem Gebiet. Sonst gilt auch hier weiterhin mit Goethe: „so fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.“
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Foto: fotolia.de
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Sehr, sehr interessanter Artikel über das Problem, Servicequalität messen zu wollen: http://j.mp/lkevR9
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